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Tagebuch eines Süchtigen

Liebe Therapeuten...

Ich bin krank. Ich bin abhängig. Meine Sucht heißt DFÜ, und Mail ist meine Droge.

Zur Dokumentation meines Einstiegs, Leidensweges und meiner zunehmenden Vereinsamung werde ich hier mein Tagebuch veröffentlichen, allen zur Warnung und als schlechtes Beispiel.

Arno Nühm

Tagebuch 

Tag 1

Habe mir heute ein Modem gekauft, 2400 bps. Ein Freund hat mich dazu überredet. Ausprobieren konnte ich es nicht, denn erstens habe ich keine DFÜ-Software und zweitens kann ich es nicht anschließen.

Morgen will mein Freund das Modem anschließen, er murmelte irgendwas von zwei Drähten und Parallelschaltung. Er macht das schon.

Ich bin aufgeregt.

Tag 2

Heute Nachmittag hat mein Freund das Modem angeschlossen. Er hat zwei Drähte von der Telefondose aus bis zum Computer gelegt.

Auf meinen 286er hat er ein Programm namens Telix kopiert. Da ist ein Telefonverzeichnis drin, mit Nummern von Mailboxen. Die werde ich alle mal anrufen.

Bei den ersten Wählversuchen erschien immer bloß "NO CARRIER" auf dem Bildschirm, worauf mein Freund in irgendwelchen Menus etwas verstellte, bis das Modem schließlich funktionierte. Er ließ mich dann an die Tastatur.

Zuerst musste ich Escape drücken, dann sollte ich meinen Namen eingeben. Mein Freund meinte, ich hieße "Gast". Dann sollte ich viele Fragen über meinen Computer beantworten, mein Freund sagte mir die Antworten und schrieb sie auch auf einen Zettel, für andere Mailboxen, wie er sagte.

Ich sah mir zunächst die Menus der Box an. Alles ging sehr langsam, das liegt an meinem Modem, meinte mein Freund. Machen konnte ich eigentlich nichts, weder Nachrichten schreiben und Spiele spielen noch Dateien kopieren. Dafür muss man eingetragener User werden, das mache ich morgen.

Tag 3

Habe heute gleich nach der Arbeit den Computer eingeschaltet und die Box von gestern angerufen. Ich habe mich als User eingetragen und musste mir ein Passwort ausdenken. Die Mailbox meinte, ich solle nicht meinen Namen nehmen und in jeder Box ein anderes Passwort verwenden. Ich habe mir dafür einen Zettel an meinen Monitor geklebt.

Als User darf man viel mehr Sachen machen in der Mailbox, ich habe erst mal eine halbe Stunde Tetris gespielt. Das ist zwar nicht so schön wie bei mir zuhause, aber dafür langsamer, so
dass ich besser spiele.

Ich darf jetzt auch "downloaden", so der Fachausdruck für das Herunterkopieren von Programmen. Geklappt hat es nicht, weil die Box meinte, meine Zeit für heute würde nicht mehr dafür reichen. Na gut, wird auf morgen verschoben.

Nachrichten schreiben geht auch, ich habe meinem Freund geschrieben, dass alles funktioniert. Ob ich öffentliche oder private Nachricht gewählt habe, weiß ich nicht mehr so genau,
aber es wird schon geklappt haben.

Die anderen Mailboxen konnte ich nicht anrufen, weil meine Freundin nach Hause kam und Ewigkeiten telefonierte. Ich habe ihr nichts vom meinem neuen Hobby erzählt.

Tag 4

Heute Vormittag habe ich mit meinem Freund wegen der kurzen Onlinezeit telefoniert. Er meinte, mit einem schnelleren Modem könne ich auch vernünftig downloaden, "saugen", wie er es nennt.

Nachmittags habe ich dann sofort nach dem Login einen Download gestartet, leider wurde die Datei (irgendein Spiel) nicht komplett übertragen, weil meine Freundin das Telefon abnahm und "Da pfeift einer ins Telefon" rief, was mein Modem mit "NO CARRIER" quittierte.

Danach war die Box immer besetzt. Ich habe dann angefangen, die Boxen aus dem Telefonverzeichnis der Reihe nach anzurufen. Acht Stück habe ich geschafft und mich überall als User eingetragen, nur bei einer nicht, die mich rauswarf, weil mein Modem zu langsam sei.

Meine Freundin war leicht säuerlich, weil ich nur noch vor dem Computer säße und mich nicht um sie kümmere. Nicht mal telefonieren könne sie. Ich habe ihr hoch und heilig Besserung gelobt.

Tag 5

Gestern habe ich ihr Besserung gelobt, heute bin ich zur Tat geschritten. Ich habe die Telekom angerufen und einen zweiten Anschluss beantragt. Die wollen schon nächste Woche kommen und ihn installieren. Vorher kaufe ich mir noch ein schnelleres Modem, das alte dient dann als Ersatz für Notfälle.

Vorhin habe ich endlich das Spiel saugen können, aber es funktioniert nicht. Es hat auch eine komische Dateiendung, sonst ist es doch immer COM oder EXE. Ich werde dort mal jemanden fragen.

Die Nachricht an meinen Freund ist wohl doch in einem öffentlichen Bereich gelandet, ich habe ganz viele Antworten bekommen. Zum Glück stand nichts geheimes drin. Ich habe allen geantwortet, die mir geschrieben haben.

Es ist schon ziemlich spät, aber ich werde noch kurz in den anderen Boxen vorbeischauen, da gibt es auch noch mehr Telefonnummern von weiteren Mailboxen.

Tag 6

Ich muss wohl vor dem Computer eingeschlafen sein. Ich bin um 10 Uhr vormittags aufgewacht, meine Freundin hat mich nicht geweckt, sondern bloß einen Zettel ("Aufwachen!") auf den Monitor geklebt. Die Mailbox scheint nach 5 Minuten Inaktivität aufgelegt zu haben, nützliche Einrichtung so was, werde dem Sysop ein Dankschreiben schicken. Meinem Chef habe ich erzählt, ich hätte einen Platten gehabt.

Ich habe wegen des Spiels mit dem Sysop geklönt, "chatten" nannte er das. Er meinte, ich bräuchte ein Programm zum Entpacken, hat mir erklärt, wo ich das bei ihm finde und wie ich es benutze. Hat auch geklappt, bloß, dass das Downloaden soviel Zeit kostet, ist ärgerlich, ich hatte nicht mal Zeit zum Tetrisspielen.

Die Frage wegen des Spiels hatte ich vorher schon in öffentliche Nachrichtenbereiche (Echos, Bretter) geschrieben, und zwar in alle, in die ich schreiben durfte, schließlich war es wichtig.

Kurz bevor meine Freundin nach Hause kam, habe ich den Computer abgeschaltet und Zeitung gelesen. Das scheint sie etwas besänftigt zu haben. Außerdem ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn ich heute rechtzeitig schlafen gehe, immerhin will ich morgen nicht schon wieder verschlafen.

Tag 7

Heute hatte ich einen Platten. Wirklich peinlich, ich habe meinem Chef erzählt, ich hätte verschlafen, denn noch einen Platten hätte er mir wohl nicht geglaubt.

Heute Nachmittag habe ich mir ein schnelleres Modem gekauft, 14400 Bit pro Sekunde soll es übertragen können, ist sogar aus Hamburg, von Dr. Althütte oder so ähnlich.

Postzugelassen soll es auch sein, nur leider passt das Anschlusskabel nicht in meine Telefondose. Mein Freund kann mir er nicht helfen, er ist übers Wochenende weggefahren. Naja, nächste Woche will ja die Telekom kommen, vielleicht können die mir zeigen, wie das angeschlossen wird.

Meine Freundin ist heute Abend mit ein paar Freunden weg, ich habe gesagt, ich fühlte mich nicht so gut. Den Abend / die Nacht habe ich in zahlreichen Mailboxen verbracht, in Stuttgart habe ich eine Box mit ganz vielen Leitungen gefunden und dort stundenlang gechattet.

Tag 8

Heute ist Sonnabend. Ich habe auf die Rückkehr meiner Freundin gewartet und bin wohl wieder am Computer eingeschlafen. Meine Tastatur hat einen großen Brandfleck, vielleicht sollte ich nicht rauchen, wenn ich müde bin, und lieber mehr Kaffee trinken. Dafür muss ich aber in die Küche und mich vorher ausloggen. Zigaretten sind praktischer.

Auf meine Frage wegen des Spiels habe ich viele unfreundliche Antworten bekommen, ich solle mich doch gefälligst ans Thema ("Topic") halten oder verschwinden. Zwei Leute haben mir ausführliche Erklärungen zu meinem Problem geschickt, eine davon klang irgendwie spöttisch, aber was soll's.

Das mit den Themen hat mich aber neugierig gemacht. Es gibt zu allen möglichen Themen Diskussionsforen, aber nur in die wenigsten darf ich auch schreiben. Nachrichten ("Mail") lesen ist eigentlich noch viel interessanter als Chatten und Spielen, das Niveau ist auch viel höher als im Chat.

Ich habe den Sysop im Chat gebeten, mir erweiterte Schreiberlaubnis zu geben, aber er meinte, ich solle erst mal nur mitlesen und Erfahrungen sammeln, wie die Gepflogenheiten im Netz so sind. Als ich nachfragte, was er mit Netz meinte, hat er mir ein paar Texte "zwangsdowngeloadet". Werde ich mir mal durchlesen, wenn ich Zeit habe.

Meine Freundin hat mir einen Vortrag über Telefongebühren gehalten, und dass ich mir eine eigene Leitung für das Modem bestellt habe, fand sie wider Erwarten gar nicht gut.

Tag 9

Ich hatte einen Alptraum.

Ich komme aus dem Urlaub zurück, und das Telefon läutet. Am anderen Ende ist ein Telekom-Mitarbeiter und erkundigt sich besorgt, ob mit mir alles in Ordnung sei.

Kurz darauf klingelt es an der Tür. Es ist ein Fahrer von UPS, er bringt mir ein Paket von der Telekom. Ich quittiere den Empfang und öffne es. Darin ist meine Telefonrechnung mit Einzelverbindungsnachweis, zusammen mit einem handschriftlichen Dankschreiben.

Ich habe heute nur kurz in meinen Stammmailboxen vorbeigesehen und die Texte über Mailboxnetze gelesen. Faszinierend.

Tag 10

Heute war der Telekom-Techniker da. Die beiden Drähte, die mein Freund an die alte Telefondose geklemmt hatte, hat er kommentarlos entfernt und dann eine weitere Dose installiert, so eine mit drei Steckplätzen. Ich fragte ihn, ob ich da mein Modem anschließen könne, und zeigte ihm mein Dr. Althütte-Modem. Ich weiß nicht, warum er so komisch gegrinst hat. Er meinte, das wäre kein Problem und zeigte mir, an welchen Platz der Stecker kommt.

Ich habe dann erst mal mit dem neuen Modem in diversen Boxen angerufen mich an der hohen Geschwindigkeit erfreut. Der Sysop meiner ersten Mailbox hat mir einen sogenannten Offlinereader empfohlen, um Mail als Paket downzuloaden und später zu lesen, das spare mir Kosten und halte ihm die Leitung frei. Scheint ein ganz netter Kerl zu sein, er hat auch meinen Userlevel erhöht, ich darf jetzt länger in der Box bleiben.

Meine Freundin war nicht begeistert, mich schon wieder am Computer vorzufinden, dass sie telefonieren konnte, beruhigte sie etwas. Sie ging dann eine Freundin besuchen.

Abends habe ich wieder Nachrichten gelesen. Komisch, für was man sich alles interessieren kann, wenn es elektronisch daherkommt. Manchmal kann man aber am Brettnamen überhaupt nicht erkennen, worum es geht, zumindest wird im Pinball-Echo nicht übers Flippern geredet.

Tag 11

Ich habe den Offlinereader ausprobiert, funktioniert wirklich bestens. Jetzt kann ich auch zum Kaffeekochen in die Küche, ohne dass die Mailbox auflegt, oder mit meiner Freundin reden, falls sie mich mal anspricht. Außerdem kann ich mehr Echos lesen.

Langsam kenne ich mich ganz gut aus in den Diskussionsforen, ich fange an, den Vielschreibern dort Konkurrenz zu machen. Den Versuch, in einer erst kürzlich eröffneten Mailbox dem häufigsten Anrufer seine Position streitig zu machen, habe ich aufgegeben, mir fehlt einfach die Zeit.

In fünf süddeutschen Mailboxen haben mich einige für verrückt erklärt, weil ich aus Hamburg anrufe. Sie haben insofern recht, als dass ich die Netzbretter ja auch in Hamburg lesen könnte, aber die lokalen Diskussionen entgingen mir dann ja. Vielleicht haben es mir ja einige auch bloß übelgenommen, dass ich in ihren bayrischen Laberechos auf Platt dazwischengefunkt habe.

Tag 12

Heute hatte ich ein unangenehmes Gespräch mit meinem Chef. Er wollte wissen, was diese merkwürdigen Satzzeichenansammlungen in meinen Briefen zu suchen hätten. Keine Ahnung von Smilies, der Mann. Außerdem fragte er mich, ob ich neuerdings etwas gegen Umlaute habe. Ich muss wohl jetzt alles Korrekturlesen, sonst gibt es noch richtigen Ärger mit ihm.

Heute kam die Telefonrechnung, verdammt hoch. Ich habe tieftraurige Mails in die Mailboxen in der Fernzone gesetzt, dass ich es mir nicht mehr leisten könne, weiterhin anzurufen.

Ich habe meine Freundin heute den ganzen Tag nicht gesehen, ich weiß gar nicht, ob sie gestern da war.

Tag 13

Ich habe meine Arbeitszeit in Absprache mit meinem Chef um zwei Stunden verschoben. Morgens ist das Telefonieren zwar teurer, aber dafür sind wenigstens die Mailboxen nicht ständig besetzt. Als ich abends von der Arbeit kam, war Stromausfall.

Während ich noch überlegte, ob ich mir nicht einen kleinen Generator für den Computer anschaffen sollte (schließlich ging das Telefon ja noch), nutzte meine Freundin die Gelegenheit, mir ein Gespräch über unsere Beziehung aufzunötigen.

Sie fand, mein Hobby nähme zuviel Zeit in Anspruch, sei teuer (verdammt, ich hatte die Telefonrechnung doch versteckt) und isoliere mich völlig von meiner Außenwelt. Was sie denn unter Isolation verstehe, wollte ich wissen, und sie sagte, ich hätte ihren Geburtstag vergessen.

Ich sah ein, dass ich etwas gutzumachen hatte, und lud sie für morgen zum Mittagessen ein. Sie schlug heute vor. Ich wandte zögernd ein, abends wäre Billigtarif, aber viel weiter kam ich auch nicht, da sie Mantel und Handtasche griff und aus der Wohnung stürmte. Ich Idiot, Billigtarif ist doch die ganze Nacht lang.

Tag 14

Ich habe wieder in den Fernzonen-Boxen angerufen, um zu sehen, ob jemand auf meine Abschiedsmails geantwortet hat. Allzu traurig scheint niemand darüber zu sein. Komisches Volk da unten.

Ich habe über das Gespräch mit meiner Freundin nachgedacht. Teilweise hatte sie sogar recht, ich weiß inzwischen beinahe mehr über die Menschen in der Netzgemeinde (leider fast ausschließlich Männer) als über die Menschen, mit denen ich lebe. Es ist eine richtige Parallelwelt.

Ein gewisser nobody@nowhere.universe schrieb mir "welcome to my killfile" und schickte mehrere Megabyte Zeichenwirrwarr an mich, hat ganz schön gedauert, das zu saugen. Ich werde meinen Sysop mal fragen, wie man das entpackt.

Meine Freundin kam kurz vorbei, holte sich ein paar Sachen und meinte, ich solle mich langsam mal zwischen ihr und der DFÜ entscheiden. Ich werde mich wohl mit ein paar Freunden im Netz beraten.

Tag 15

Meine Stammbox nahm heute morgen um halb vier einfach nicht ab, kein Besetztzeichen, sie nahm einfach nicht ab. Ich habe im Telefonbuch die Nummer meines Sysops nachgeschlagen, um ihm gleich Bescheid zu sagen, falls er es noch nicht gemerkt haben sollte.

Er hat mich ziemlich übel beschimpft, gefragt ob ich besoffen sei und gesagt, er würde die Box erst wieder hochfahren, nachdem er meinen Account gelöscht habe. Ich habe es gegen 11 versucht, die Box lief wieder, aber ich konnte mich nicht anmelden, er scheint mein Passwort geändert zu haben, und als Gast darf ich nicht ins Netz schreiben.

Ich habe dann erst mal in anderen Boxen angerufen und mich bemüht, dort wieder Netzzugang zu bekommen, heute wird es aber wohl nichts mehr damit. Ich werde nachher vielleicht endlich mal wieder abwaschen oder aufräumen, die Abwesenheit meiner Freundin macht sich inzwischen bemerkbar.

Ich habe wohl etwas zuviel getrunken, meine Tastatur hat einen Brandfleck mehr. Aber es stört mich nicht mehr.

Tag 16

Ich habe ziemlich schlecht geschlafen. Ich habe geträumt, dass meine Freundin frühmorgens erscheint und die Modems wegschließt.

Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass es stimmt. Sie hat mir Frühstück gemacht und mich vor die Wahl gestellt, entweder weiter meine Tage ohne sie und mit DFÜ zu verbringen oder in ein normales Leben mit ihr und ohne Modem zurückzukehren.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich einen langsamen Entzug mache, täglich unter ihrer Aufsicht eine halbe Stunde DFÜ, nur online, nur Ortstarif. Den zweiten Anschluss wird sie morgen kündigen.

Tag 17

Sie will mit mir verreisen, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Sie hat mir ernste Konsequenzen angedroht, falls sie dann ein Notebook oder ähnliches bei mir findet. Ich habe zugestimmt und Urlaub genommen.

Irgendwie habe ich auf einmal zuviel Zeit. Ich weiß nichts rechtes mit mir anzufangen. Es gibt so viele Dinge, die ich tun könnte, aber mir fehlt die Kraft, mich aufzuraffen. Ich werde mich zwingen, mit ihr spazieren zu gehen.

Tag 18

In zwei Stunden fahren wir in Urlaub. Vielleicht kommt dann alles wieder ins Lot.

Ich habe mir eine Zeitung gekauft. Sehr gewöhnungsbedürftig, wieder ganz normal so ein einseitiges Medium zu lesen.

Da ist gar nichts zum Zurückquoten drin.

Tag 19

Als wir gestern im Zug nach Amsterdam saßen, war ich eigentlich sehr zuversichtlich, dass ich meine DFÜ-Sucht langsam eindämmen und unsere Beziehung wieder kitten könnte.

Als ich abends im Hotel im Bett lag, ging mir auf, dass sie mich reingelegt hat. Wie soll denn der vereinbarte langsame Entzug (täglich 30 Minuten) funktionieren, wenn Computer und Modem im Nachbarland stehen?

Ich ärgerte mich über meine Naivität und konnte nicht schlafen. Ob der Ärger die Ursache war oder die Gewohnheit, nachts am Computer zu sitzen, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich heute morgen völlig groggy.

Ich habe sie beim Frühstück auf unsere Vereinbarung angesprochen. Sie tat sehr bestürzt und beteuerte, es täte ihr leid, daran habe sie gar nicht gedacht, und sie sei überzeugt, dass ich eine Woche auch ganz ohne DFÜ auskommen könnte. Innerlich hat sie sich bestimmt vor Lachen geschüttelt. Sadismus pur.

Wir haben den ganzen Tag lang die Stadt erkundet. Hübsche Stadt eigentlich, die Altstadt zumindest. Unzählige Teestuben, Trödelläden und natürlich Coffieshops. Ein paar Postämter habe ich auch entdeckt. Ob es in Holland auch öffentliche BTX-Terminals gibt?

Tag 20

Vormittags, während sie über einen Flohmarkt bummelte, habe ich ein bisschen die Stadt erkundet. Wunschgemäss habe ich Briefmarken für Ansichtskarten gekauft, und zwar in vier verschiedenen Postämtern. BTX-Terminals gab es aber in keinem. Vielleicht haben die in Holland auch gar kein BTX. Ein großer Verlust wäre es ja eigentlich nicht, aber in der Not frisst der Teufel ja bekanntlich allerhand ekelhaftes.

Der Tag wollte einfach kein Ende nehmen. Den Nachmittag haben wir in einer Teestube verbracht, zum Glück gab es aber auch Kaffee. Abends haben wir Freunde von ihr besucht, Hamburger, die in Amsterdam studieren.

Ich hatte gehofft, dass einer der beiden vielleicht einen Internetzugang an der Uni hat. Natürlich Fehlanzeige, die studieren Kunstgeschichte und wissen wahrscheinlich nicht mal, wo bei einer Tastatur oben ist.

Tag 21

Ich habe mir heute auf einem Flohmarkt einen gebrauchten 286-Laptop gekauft. Meine Freundin war dabei und konnte keine schwerwiegenden Argumente dagegen anführen, zumal die Kiste wahnsinnig günstig war.

Sie hatte natürlich sofort den Verdacht, ich würde hier wieder DFÜ betreiben wollen. Ich konnte sie aber beruhigen, denn immerhin habe ich kein Modem, keine entsprechende Software und in unserem Hotelzimmer gibt es kein Telefon.

Wir haben eine Grachtenfahrt gemacht. Viel Ungewöhnliches zu sehen gab es für einen Hamburger natürlich nicht, die haben ja weniger Brücken als wir. Computergeschäfte konnte ich bisher auch nicht entdecken.

Tag 22

Meinen Plan, demnächst mit dem Laptop wieder ans Netz zu gehen, habe ich erst mal freiwillig auf Eis gelegt, denn ich habe hier ein Internet-Cafe entdeckt. Das Problem ist bloß, dass ich noch nicht so genau weiß, wie ich ein paar Stunden dort verbringen kann, ohne dass meine Freundin Verdacht schöpft.

Vielleicht sollte ich krank spielen, schwer fallen dürfte es mir nicht, ich fühle mich ohnehin ziemlich ausgelaugt. Auch habe ich den Eindruck, dass meine Hände morgens zittern, aber starker Kaffee hilft bekanntlich gegen alles.

Meine Schlafstörungen sind auch nicht besser geworden, ich habe fast die ganze Nacht wachgelegen. Zwischendurch bin ich eingedöst und habe von meiner Stammbox geträumt. Ich schreckte schweißgebadet hoch, als ich meinte, einen Carrier zu hören. Es war aber nichts, nicht mal der Wecker. Ich habe dann erst mal ein paar geraucht, dann fühlte ich mich wieder besser. Die frische Luft bekommt mir nicht.

Tag 23

Heute Nachmittag waren wir bei ihren Freunden zum Kaffee eingeladen. Außer "Hallo" habe ich nicht viel gesagt, nur die ganze Zeit daneben gesessen und Kaffee getrunken.

Es war fürchterlich. Ich wurde gefragt, ob ich studiert hätte, und falls ja, welches Fach. Unverschämt, mich einfach so anzusprechen. Auf einmal stand ich im Mittelpunkt des Interesses, alle sahen mich an. Keine Bedenkzeit, nicht mal vorher eine rauchen. Ein kurzes Nippen am Kaffee war meine einzige Möglichkeit, die Antwort etwas zu verzögern.

"Chemie, soso, und abgebrochen. Warum denn das? Und was machst Du jetzt so?" Ein regelrechtes Kreuzverhör, ich habe mich erst mal für eine halbe Stunde auf die Toilette zurückgezogen. Danach teilte ich mit, dass ich mir wohl gestern an einem Fischbrötchen den Magen verdorben hätte.

Unter Mitleidsbezeugungen wurde ich ins nahegelegene Hotel entlassen. Ich bin dann sofort zum Internet-Cafe. Eigentlich war es eher ein Internet-Coffieshop, auf jeden Fall gab es dort Gutes zu rauchen.

Im Internet selbst habe ich mich kaum zurechtgefunden. Nach mehrstündigem Klicken durchs World Wide Web (bunte Bilder, Werbung, kaum Inhalt) gelang es mir, einen sogenannten Newsserver zu finden. Dort gab es Mail. Viel Mail.

Um neunzig Gulden ärmer verließ ich den Coffieshop wieder. Nach den paar Joints fühlte ich mich gut wie seit langem nicht mehr. Ich glaube, heute nacht werde ich schlafen können.

Tag 24

Ich bin gestern Abend sofort eingeschlafen, musste nicht mal Schäfchen zählen oder so. Gegen Mittag bin ich aufgewacht, meine Freundin war nicht da. Ich bin dann sofort wieder zum Internet-Coffieshop gegangen, er war aber noch geschlossen.

Ich ging in einen Trödelladen, der auch antiquierte Computer-Hardware verkauft. Auf der Suche nach einem Akustikkoppler natürlich. Der Besitzer konnte mir zwar damit nicht helfen, aber dafür mit einem alten Modem, diversen Kabeln und einer Bastelanleitung.

Handwerklich geschickt bin ich ja ein bisschen, also habe ich mir noch ein paar Werkzeuge gekauft und mich im Hotelzimmer an die Arbeit gemacht. Im Bad natürlich, ich bin ja schließlich vorsichtig.

Tag 25

Ich bin frühmorgens mit einem Taxi an den Stadtrand gefahren. In einer einsam gelegenen Telefonzelle habe ich dann meine Ausrüstung ausgepackt: Laptop, Modem, Drähte, Werkzeug.

Nach der "Bastelanleitung" habe ich den Hörer geöffnet, ein paar Drähte abgerissen und mit meinem Modem verbunden. Ob es geklappt hätte weiß ich nicht, auf dem Laptop war kein Terminalprogramm.

Ein Taxi konnte ich mir nicht rufen, ich habe den Hörer nicht mehr zusammenbekommen. Ich bin dann zu Fuß losmarschiert, bis ich eine Bushaltestelle fand. Von dort bin ich zurück ins Hotel gefahren.

Meine Freundin schlief noch. Mir war nicht zum Schlafen zumute, eher zum Heulen. Meine Hände zittern wieder, aber Kaffee hilft nicht mehr dagegen. Ich werde nachher bei einem Coffieshop vorbeischauen.

Tag 26

Gestern haben wir uns abends wieder mit ihren Freunden getroffen. Sie haben andauernd versucht, mich in Gespräche zu verwickeln. Es war wirklich Dauerstress, ich habe kaum geantwortet.

Alls ich von einem Toilettengang wiederkam, verstummte ihr Gespräch plötzlich. Ich bin sicher, die haben über mich geredet. Als ob mit mir was nicht Ordnung wäre. Sie haben mich so merkwürdig angesehen, so als ob ich nicht richtig ticke.

Sie gönnt mir bloß mein neues Hobby nicht. Aber zur Teilnahme an ihrem "gesellschaftlichen Leben" kann sie mich auch nicht zwingen. Von jetzt an rede ich mit denen kein Wort mehr.

Tag 27

Jetzt ist alles aus. Schluss und vorbei. Wir haben uns getrennt.

Ich bin letzte Nacht erst gegen fünf eingeschlafen. Sie hat sich morgens gedacht, dass wir den Urlaub lieber abbrechen sollten. Dann hat sie angefangen, unsere Sachen zu packen. Sie hat dabei Laptop und Modem entdeckt.

Sie hat mich aufgeweckt und mich angeschrieen. Warum ich sie so belogen hätte. Sie hat mir überhaupt nicht zugehört. Ich bin dann aus dem Zimmer und zum Internet-Coffieshop gerannt. Er war noch geschlossen. Ich habe gegen die Tür gehämmert, bis mir die Hand wehtat. Dann habe ich mich weinend davor gesetzt.

Zwei Polizisten wollten mich mit auf die Wache nehmen. Aber ich lasse mir nichts mehr gefallen. Ich kann im Schlafanzug durch die Stadt laufen, soviel ich will. Ich habe ein bisschen um mich geschlagen.

Meine Freundin hat mir abends alle meine Sachen auf die Wache gebracht, nur die Computerteile nicht. Sie ist zurück nach Hamburg gefahren.

Mich haben sie noch nicht weggelassen. Ein Arzt war bei mir, so ein Psycho-Klempner. Mit denen redet man besser gar nicht erst.

Tag 28

Jetzt bin ich in diesem Krankenhaus und es geht mir gut, danke. Sie haben mir Medizin zum Schlafen und gegen mein Zittern gegeben.

Auch die Pfleger, die mir das Essen bringen, geben sich wirklich die größte Mühe. Aber sie sagen mir nicht, wann ich wieder nach Hause kann. Und was aus meinen Mailfreunden wird.

"Nein, ich halte gar nichts von Computern" meint der eine. "E-Mail? Was ist das?" sagt der andere.

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